Eine Meinung vertreten | Kopfkino | Musik machen

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Einer steht immer im Weg

 

Es klingelt und Socke erhebt sich aus seinem Sessel, um die Tür zu öffnen. Er erwartet den Gast bereits. Draußen im Schnee steht Gräte, sein alter Freund seit Kindertagen.

„Mann, ist mir kalt.“, schimpft er, „Lass mich schnell rein. Ich hoffe, du hast tüchtig eingeheizt.“

Dann legt er Mantel, Schal und Handschuhe ab, stellt zuletzt seine nassen Schuhe auf das Stück Teppich in der Garderobe und gut gelaunt geht er ins Wohnzimmer – er kennt sich hier aus.

„Eine leckere Tasse Kaffee könnte jetzt nicht schaden. Und vielleicht auch noch ein Schlückchen aus dem Hochland?“

„Aber sicher doch.“, sagt Socke und lächelt, „Es wird wieder einmal Zeit, den Unernst des Lebens zu feiern.“ und verschwindet. Man hört ihn in der Küche kramen und dann den Automaten gurgeln und zischen. Schließlich kommt er mit zwei Tassen Kaffee, zwei Gläsern, einer Flasche Whisky und ein paar Plätzchen, alles fein säuberlich auf einem Tablett angeordnet, zurück.

Die beiden nehmen einen Schluck vom Schwarz-Heißen, bevor sie sich zufrieden und mit großer Hingabe anschweigen.

„Was gibt’s Neues bei den ledertretenden Millionären?“ Gräte durchbricht das Schweigen der Männer.

„Nichts, wenn man mal davon absieht, dass die Schiedsrichter plötzlich immer im Weg stehen.“

„Wieso, ich dachte, die wären ‚Luft‘.“

„Nein, das war mal. Jetzt gibt es einen Hochball, einen Freistoß oder sonst irgendwas, was sich der Unparteiische eben ausdenkt. Neulich hat ein Schiedsrichter unfreiwillig den Ball wunderbar weitergeleitet, was letzt­lich zum Tor führte. Früher hätte das gezählt, heute gibt’s einen Freistoß für die Angreifer – glaube ich.“

„Es gibt doch in allen großen Stadien diese Kamera, die an vier Seilen an jede beliebige Position platziert werden kann. Da brauchte man doch nur die Kamera durch den Schiedsrichter zu ersetzen und schon steht er nicht mehr im Weg und ist immer auf Ballhöhe.“

„Auf Ballhöhe. Du bist gut!“ Socke muss laut lachen, „Dann beißt er ständig ins Gras . Nee, zehn Meter hoch muss er schon fliegen, sonst schießt ihn noch einer von unten an!“

„Dann zeigen ihm seine unvermeidlichen Schmerzen, dass er zu tief gehangen hat. Es wird ihm eine Lehre sein.“

„Ja, ja.“

„Und wenn seine Leistung nicht zufriedenstellend ist, wird’s in Zukunft keine Schläge oder zerkratzten Autos mehr geben, man lässt ihn einfach oben hängen, bis er reumütig Einsicht zeigt oder bis er anfängt, zu riechen.“

„Ach komm! Hab doch Erbarmen!“, entrüstet sich Socke und amüsiert sich trotzdem köstlich, „Nein, nein, das wird nicht gehen. Überleg doch mal, wie dick die Seile sein müssen und wie laut er von da oben trillern muss, damit die Herren Spieler ihn hören und immer müssen sie zu ihm aufschauen. Bis jetzt bekreuzigen sie sich nur, wenn sie nach oben schauen, umHilfe von ganz weit oben zu erbitten.“

„Das ist es doch: Man hängt dem Menschen da oben Flügel um, gibt ihm eine Trompete statt Pfeife und egal ob Herr Brych oder Frau Steinhaus da hängt, sie sind für die da unten wie der Engel, der nach Jericho geschickt wurde – eine Offenbarung.“

 „Du übertreibst ein wenig, mein Freund, aber es geht nicht. Frauen haben doch alle Nase lang einen gewissen Drang und bis die Engelin von da oben runter ist und abgeschnallt wurde, ist alles zu spät. Ich wundere mich ohnehin, wie Frau Steinhaus fünfundvierzig Minuten am Stück aushält.“

„Na gut. Da magst du wohl Recht haben. Nicht für Frauen.“

„Sie sollten den Schiedsrichter mit einem Raketenrucksack ausrüsten und seine Pfeife elektronisch verstärken.“

„Das ist gut, auch wenn einige Aktivisten gegen Feinstaub und CO2 zu Felde ziehen werden – weil sie keine Ahnung haben, was da genau verbrannt wird.“

„Und bei Unzufriedenheit wird einfach seine Fernsteuerung gehackt und er wird unwiederbringlich auf den Mars geschossen.“

„In Zukunft erübrigt sich damit wohl auch die Frage nach Leben auf dem Mars. Schwarze Männer auf rotem Planeten – man wird den Mars früher oder später ‚il pianeta milanese‘ nennen wollen.“

„Meinst du, es wird sich demnächst noch jemand finden, der Unparteiischer auf oder über dem Platz sein will?“

„Nein, aber man könnte doch die real existierenden Platzschiedsrichter einfach weglassen und nur noch den Typen aus dem Keller Entscheidungen fällen lassen. Das geht dann so: Fünf Minuten spielen, egal was passiert. Fünf Minuten Pause für die Auswertung und Entscheidungsfindung und so weiter und so weiter. Es gibt keine Halbzeiten mehr sondern zwölf Spielabschnitte zu je zehn Minuten.“

„Nein! Das bedeutet auch zwölf Mal Werbung oder zwölf Mal Szenenwiederholungen mit nichts sagenden bunten Linien und dummes Geschwätz von Ahnungslosen während ‚Der Keller‘ sein Urteil spricht. Das will doch wirklich keiner.“

„Überleg mal, jeden Sonntag finden ja auch ein paar tausend Spiele bei den Amateuren statt. Wie groß soll denn das Aufgebot in irgendwelchen Katakomben sein? Mal ganz abgesehen davon, dass die Vereine den Aufwand gar nicht bezahlen könnten – und der Verband wird sie nicht unterstützen.“

„Da bleibt ja nur noch der Hologramm-Schiedsrichter. Der echte sitzt irgendwo in einer Kabine im Stadion mit Sicht aufs Feld und wird als scheinbares Bild auf den Rasen projiziert, da kann man dann auch durchschießen und -laufen, das Trugbild stört nicht. Und das werden sich auch die kleinen Vereine leisten können. Außerdem gibt’s auch keine Möglichkeit eine Holographie zu verprügeln.“

Die beiden hängen ihren Gedanken nach und schweigen vor sich hin.

„Ja, ja. So wird es wohl kommen.“, seufzt Socke, „Sláinte, Gräte.“

„Sláinte, Socke.“