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Sibiël Danert

 

Herr Griezmann, Ihr Schuh hat nichts im Gesicht ihres Gegenspielers zu suchen. Ich verweise sie des Platzes wegen übertriebener Härte.« So oder so ähnlich spricht der Unparteiische den Verweis[1] wohl aus. Dann gibt er auch noch einen Elfmeter für die Engländer[2] und als er in der Schlussphase zu allem Überfluss einen bereits verhängten Strafstoß für Atletico zurücknimmt, schäumt und kocht die spanische Volksseele endgültig über.

Für die Niederlage der Athletischen kann es nur einen Schuldigen geben: Danert, diesen korrekten und Videobeweis-abhängigen Germanen. Wieviel er denn wohl für seine antiiberische Pfeiferei bekommen hätte, fragt man sich in den Vorstädten Madrids und vor allem in den angrenzenden Dörfern und ob er, der Danert, nicht vielleicht doch ein Intimus des Herrn Klopp sei. Deutsche, so krakeelt man alkoholselig in so mancher Dorfkneipe, hielten ja im Ausland immer zusammen, weil sie so etwas zu Hause nicht hinbekämen. Und dabei schütten sich die Frustrierten Mahou, billigen nationalen Gerstensaft aus der Hauptstadt, in den Hals. Dieser Danert dürfe nie wieder ein Spiel pfeifen und überhaupt dürfe er seines Lebens nicht mehr froh werden – wenn man es ihm denn überhaupt ließe. So etwas hätte es unter dem Caudillo, zu Zeiten der Gran Amistad germano-española, niemals gegeben und viele versuchen schwankend mit mehr oder weniger gestreckten rechten Armen zur Tür hinauszuzeigen, wo mitten auf dem Platz bis vor vierzehn Jahren noch ein Denkmal stand …

Die Gebildeten unter den Enttäuschten erinnern (nein, nicht sich) an die Schlacht vor Trafalgar — fast auf den Tag vor 216 Jahren[3], als nach dem Ausfall des französischen Flaggschiffs Bucentaure die spanische Armada eine vernichtende Niederlage einstecken musste, wobei die Deutschen, so berichtet wenigstens der zeitgenössische Chronist, überhaupt keine Rolle spielten. Wenn der gewusst hätte, dass die napoleonische Strategie von einem Hannoverschen Grafen, den die Briten in die Entourage des französischen Vizeadmirals eingeschleust hatten, hintertrieben wurde, als er ihm falsche Informationen über eine überlegene britische Flotte in der Biskaya zutrug …

 Am übernächsten Tag hat sich die Lage ein wenig beruhigt, aber Siebiël Danert ist verschwunden. Zum letzten Mal wird er nach dem Spiel gesehen, als er in den Katakomben des Wanda Metropolitano mit einer Sporttasche aus der Kabine kommt und in Begleitung zweier Personenschützer zur Fahrbereitschaft geht, die ihn zum Hotel zurückbringen soll …

Sofort eingeleitete Suchmaßnahmen sind erfolglos, es gibt einen hektischen Austausch scharfer diplomatischer Noten und schließlich beordern die beteiligten Regierungen ihre Botschafter zurück. Die Spanier wollen sich nicht von einem willfährigen Lakaien der internationalen Regelmafia vorschreiben lassen, wann ein Fußballspiel als verloren zu gelten habe. Die Franzosen stellen sich vehement auf den Standpunkt, dass ein Staatsbürger der Grande Nation seinen Fuß hinstellen könne, wo immer es ihn beliebe. Die Deutschen jammern, wie so oft, dass sie nun schon wieder das Abendland ins Unglück gestürzt hätten und bitten kniefällig um Verzeihung und lassen anfragen, wer denn ein paar geschenkte Milliarden gebrauchen könne. Nur bei den Engländern ist man sich nicht sicher: Sie haben anerkanntermaßen gewonnen und doch brechen sie ihre Verbindungen ab. Aber das wird wohl mit ihrer augenblicklichen Lust am Abbrechen, Austreten, Düpieren und mit Boris dem Allmächtigen zu tun haben. Einzig die europäischen Fußballoberen halten sich beschämend desinteressiert zurück, wollen es sich mit niemandem verderben und sehen auch keinen möglichen finanziellen Vorteil für sich.

Der Mann mit der Pfeife bleibt unauffindbar.

Im darauffolgenden Frühjahr berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf ihr Recherche-Netzwerk, dass in der Angestellten-Wohnanlage des Camp Nou ein Mann leben soll, der dem Vermissten Danert ähnlich sehe, wenn man sich mal Bart und schulterlange Haare wegdächte. Nach Auskunft der Verantwortlichen habe er um Asyl in Katalonien gebeten, denn er werde in Kastilien und in Leon rassistisch verfolgt, sei seines Lebens nicht mehr sicher. Er habe glaubhaft belegen können, studierter Sportwissenschaftler zu sein und so beschäftige man ihn mit großem Erfolg als Fitness-Trainer der U16. Seinen Namen habe er mit Eli Dan angegeben. Sie hätten keinen Grund gesehen, ihm zu misstrauen und mit seiner Arbeit wären sie im Übrigen hoch zufrieden.

Die Botschafter gehen mittlerweile wieder ihren Beschäftigungen nach, nur die Engländer lassen den Rest des Kontinents links liegen. Die Affäre Danert ist längst keine mehr und der DFB hat schnell einen Ersatz bei der FIFA akkreditiert.

Wer zum Teufel war noch mal dieser Danert?

[1] 52. Minute

[2] 74. Minute

[3] 21. Oktober 1805