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Bestimmt haben Sie schon mal vor dem Fernseher gesessen und sich auf spannende eineinhalb Stunden Tatort-Unterhaltung gefreut. Die Titelmelodie erklingt und signalisiert Ihnen, die Ohren zu spitzen, Ihr Logikzentrum auf Dauerbetrieb zu schalten und die Konversation mit den Liebsten einzustellen.
Schnell wird klar, dass wieder einmal einer der Reichen und mehr oder weniger Schönen der Republik betroffen ist, denn eines dieser Luxusgeschöpfe wurde zunächst durch stumpfe Gewalt und dann durch zielgenauen, freien Fall in einen Mähdrescher auf dem Reiterhof des alten Gutsherrn erst aus dem Leben und dann in Stücke gerissen.
„Aha!“, sind Sie sich bereits nach einer halben Stunde sicher, „Das kann ja nur die Ziehtochter der Schwester der Zugehfrau des ehemaligen Verwalters im Zustand geistiger Umnebelung durch irgendein Halluzinogen gewesen sein, dass ihr der Enkel des Alten immer wieder verabreicht, seit er sie vor wenigen Wochen schwängerte.“
Sie sind enttäuscht.
„Alles klar“, denken Sie noch und „Schade. Leider wie immer, aber die Gegend da ist super. Nur, hätten die den Wiesmann nicht mal länger und von Nahem zeigen können? Ein schönes Gut und so idyllisch gelegen und ein beeindruckender Mähdrescher.“
Dann greifen Sie entweder nach der Chipstüte, der Fernbedienung oder erzählen Ihrer Frau von dem Fünftligafußballspiel am Nachmittag. Aber Ihre Gedanken kreisen um die Geschichte mit der ausgelaufenen Waschmaschine im Keller des Kommissars, die in epischer Breite den Fortgang der eigentlichen Handlung stört und dabei weder lustig noch erhellend daherkommt. „Was soll das?“, entfährt es Ihnen laut und reichlich aggressiv. Die Frau an Ihrer Seite bezieht - obwohl gar nicht gemeint - den Ausbruch auf sich, und prompt schmollt sie, denn sie ist sich keiner Schuld bewusst.
Nach überstandenen neunzig Minuten hat sich Ihre frühe Ahnung bestätigt: Alle Umstehenden weinen, als die Mörderin abgeführt wird und der niederträchtige Enkel gelobt Besserung und der Mutter seines ungeborenen Kindes ewige Treue. John Deere, der Hersteller des Mähdrescher legt vor dem Abspann schriftlich Wert auf die Feststellung, dass seine Geräte sicher seien und sich computergestützt weigern würden, einen Menschen zu schreddern.
Jetzt reicht es Ihnen endgültig, und weil sich immer gleiche Sujets Woche für Woche mit wechselnden Protagonisten wiederholen, beschließen Sie, dass der Fernsehkrimi für Sie persönlich völlig uninteressant geworden ist. Aber wenigstens beginnt jetzt auf den Dritten die Bundesliga-Zusammenfassung der Sonntagsspiele.
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Der „Tatort“ in seiner bestehenden Form ist tot.
Alte Folgen werden »entrümpelt« und als neu geschnittene, neu getextete Sieben-Minuten-Dreißig-Versionen »Tot-Art vor Acht« gesendet:
Alle psychologischen Ausschweifungen, die mit der Aufklärung eines Falles ohnehin nichts tun haben und meist – sogar für Laien erkennbar – konstruiert sind, werden entfernt. Persönliche Schicksale und Streitigkeiten untereinander entfallen: Ab sofort sind Ermittler endlich das, was sie sind immer schon waren, Beamte. Vereidigte Staatsdiener haben kein Familienleben und auch keine Waschmaschine. Eine samstägliche Erneuerung des Amtseids vor dem Miniatur-Bundesschrein mit Adler und Grundgesetz in einer Nische des schlichten Aufenthaltsraums im Wohnheim für Kriminalisten ersetzt den Geschlechtsverkehr. So wie Nonnen mit Gott, sind Beamte mit dem Staat verheiratet, der für sie sorgt und auch ihre Wäsche wäscht.
Belanglose und meist aggressive Dialoge, führen alle dramaturgischen Grundsätze ad absurdum, nach denen alles Dargestellte dem Fortgang der Handlung dienen soll. Nicht einmal als Spannung aufbauende »Cliffhanger« taugen sie, denn der geneigte Zuseher weiß genau, dass nach kurzer Zeit irgendein Telefon klingelt. In neun von zehn Fällen ist der forensische Pathologe der Anrufer, und das löst beim Betrachter regelmäßig ein gelangweiltes „Ach-der-schon-wieder Erlebnis“ aus. Ab sofort gestrichen und geschnitten, ebenso wie die Fahrten zu jenem Aufschneider, einem meist schrulligen aber allwissenden Könner auf seinem Gebiet, der den (wenigstens) zwei Hauptkommissaren einen oder höchstens zwei Sätze zum toten Körper sagt: Fünfundzwanzig medizinische Fachbegriffe sinnlos aneinandergereiht, welche – laut Drehbuch – die Nicht-Aufschneider im Wechseldialog dem ahnungslosen Zuschauer übersetzen und dafür ein Lob vom Keller-Meister bekommen.
Dem Zeitgeist folgend – und nicht unbedingt deutsch – wird zukünftig digitalisiert im Team gearbeitet, und das besteht nicht mehr nur aus zwei Menschen und einem oder einer — meist überforderten — Hilfswilligen. Ergebnisse von selbständig im Hintergrund, also vom Zuschauer unbemerkt, Zuarbeitenden werden in einer zentralen Datenbank gesammelt, sind jedem in der Gruppe zugänglich und werden gemeinsam ausgewertet. Der Zuschauer kann jederzeit eben diese Daten am heimischen Computer mitverfolgen und sich seinen eigenen Reim machen.
Fortan entfallen alle Kameraschwenks über Städte und Landschaften und unsinnige Fahrten von A nach B, bei denen auch nur die Gegend Interesse weckt. Sinnfreie Demonstrationen der Treppensteigfähigkeit deutscher Beamter gehören endlich der Vergangenheit an. Kaffee-abhängige Ermittler verschwinden in den Entzug und stören nicht mehr den straffen Fortgang der Handlung, Vorgesetzte sind kompetent und in Menschenführung ausgebildet und keine lächerlichen Witzfiguren mehr.
Letztlich aber wird das geneigte Publikum dieser Form der „Leichenschau“ sehr schnell überdrüssig werden, die siebeneinhalb Minuten werden eingespart, der deutsche Tag (und nur der!) um genau diese Spanne kürzer und der Geist von Stephen Hawking wird sich an die Beseitigung der Falte im Raumzeitkontinuum machen. Die deutsche Bevölkerung hingegen wird sich zahlenmäßig langsam aber stetig von dem täglich zu leistenden „Blutzoll“ erholen.
Wer es weiterhin ausführlich mit Handlungsunterbrechung an den spannendsten Stellen haben will, greift zum Buch und lässt die eigene Fantasie spielen. Für viele ein gänzliches neues Erleben — und das bei abgeschalteter Berieselungsmaschine.
Der deutsche Beitrag zum Energiesparen und zum Klimaschutz.