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Die Motte

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„Sag mal“, fragt die Frau sichtlich erschüttert, „hast du die Motte im Badezimmer erschlagen?“

Der Mann auf dem Sofa hebt den Kopf – ein wenig verwundert, denn gewöhnlich sind die bekannten Tiere aus Haus und Garten Thema ihrer Gesprächseröffnung, wenn die Gattin nach längerer Abwesenheit zurückkehrt.

Er hätte also kaum reagiert und alles nähme seinen gewohnten Lauf, wenn jetzt – wie üblich – die Lieblingskatze der Gattin Objekt der Befragung wäre, denn die Erkundigung nach dem Ergehen des alten und kranken Haustiers ist inzwischen Ritual und ein „Woher soll ich wissen, wie es ihr geht. Sie redet ja nicht mit mir.“ des Mannes genügt stets als Zeichen seiner Gesprächsunlust – vielleicht noch ein kurzer Verweis auf den vermeintlichen Aufenthaltsort des Stubentigers und das Thema wäre von ganz alleine erledigt. Neben der unvermeidlichen Katze gehören aber auch Vögel, Eichhörnchen oder Igel – mit durchaus unterschiedlicher Wertschätzung – zum Unterhaltungs- und Pflegerepertoire der Dame des Hauses.

Aber eine Motte? Der Ruhende ist nicht nur verwundert, er ist zutiefst irritiert. Damit hat er in diesem Augenblick wirklich nicht gerechnet.

„Erschlagen ist vielleicht etwas übertrieben“, erwidert er deshalb ziemlich unsicher, „ein mittlerer Druck mit dem Zeigefinger, bis es deutlich geknackt hat. Dann habe ich die Reste entsorgt.“

„Sie hat sich doch so gefreut, dass sie ins Warme und vor allem ins Feuchte durfte, als ich nach dem Duschen die Fenster aufgemacht habe. Und dann hat sie sich ganz still und brav in die Ecke am Waschbecken gesetzt, und sie sah so zufrieden aus. Sie hat mir richtig leidgetan, die Arme.“

Tiere waren bei ihr grundsätzlich „arm“. Egal ob im Winter, wenn die ach so armen Vögel froren, wenn die Igel kein Dach über dem Kopf hatten oder im Sommer, wenn sie bei langer Trockenheit hinging und Würmer aus dem Boden trommelte, damit ihre Vögel Frischfleisch bekämen.

„Und dann gehst du hin und erschlägst sie.“

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Der Vorwurf ein Lebewesen vom friedlichen Dasein zu Tode gebracht zu haben, steht im Raum, und weil sie schweigt und eben nicht verschmitzt dabei lächelt, wie das sonst ihre Art ist, wächst der Vorwurf zur Anklage, zum globalen Aufschrei gegen das Leid der gequälten Kreatur.

„Ich habe sie nicht erschlagen, weil mir eine innere Stimme befohlen hat »Töte! Töte, was dir unter die Finger kommt«.“

Im Hintergrund doziert Torsten Sträter über Tränen beim Zwiebelschälen und über den links gerabbelten Dummel und die äußerst schwache Verteidigungsrede des Mannes, der jetzt auf dem Sofa sitzt, das in diesem Augenblick zur Anklagebank wird, geht im Gelächter, das aus dem Fernseher dringt, unter:

„Du hängst ja auch unsere Schränke mit Klebestreifen voll, an denen die Motten langsam verhungern, weil sie nicht mehr wegkommen. Das ist Folter bis zum Tod!“, versucht er den Schwarzen Peter loszuwerden.

Aber ohne Erfolg.

„Das ist ganz etwas anderes“, wischt sie seinen Einwand beiseite und bevor er noch nachfragen kann, warum die vorgefertigte Klebetötung etwas anderes als schnöder Mottenmord sei, schiebt sie noch nach: „Das war auch keine Kleidermotte, dafür war sie viel zu groß. Und überhaupt, wie kannst du die einfach mit dem Finger zerdrücken? Du musst sie vorsichtig einfangen und wieder nach draußen setzen! du solltest dich schämen! Du hast keine Achtung vor der Kreatur!“

Dem Mann verschlägt es die Sprache. Er beschließt, darauf nicht mehr zu antworten, denn er befürchtet, dass alles, was er jetzt noch sagt, gegen ihn verwendet werden kann.

 

Er greift zum Telefon und wählt die eins-eins-null.

„Ich möchte eine vorsätzliche Tötung melden“, sagt er leise aber beherrscht, „die Leiche liegt bei uns in der Toilette.“