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Sepang

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Lesezeit ca. 12 Minuten

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„Hör mal!“, beginnt die klügste aller Frauen ihre Fragestunde, „Kennst du ein Insekten­be­kämp­fungs­mittel?“

„Wofür brauchst du das? Du redest doch immer davon, dass wir die Insekten erhalten müssen und wenn du die jetzt wegspritzt, musst du noch mehr Vogelfutter kaufen. Was das wieder kostet!“

„Nein“, empört sie sich, „Zehn Buchstaben, dritter ein ‚S‘. Und denk nicht immer nur ans Geld!“

„Ach so.“ Ich muss grinsen. „Nee, kenne ich nicht. Kriegst du nicht noch ein paar andere Buchstaben raus?“

Schweigen von der anderen Seite des Küchentisches. Ich trinke einen Schluck frisch gepressten Kaffee und schalte mein Gehirn wieder ab, obwohl ich genau weiß, dass ab sofort noch viele Fragen gestellt werden. Sie hat, wie ich sehen kann, bereits einiges gelöst und jetzt wird es kompliziert, die Lücken mit den schweren Antworten zu füllen, denn sie verfolgt keine Strategie und schreibt mal hier ein Wort hin, mal dort. Das kann nicht gut gehen.

 

Angefangen hatte die heutige Rätselstunde damit, dass ich mir die Wochend-Sudokus aus der Tageszeitung heraus reißen wollte. Und weil das nicht so glatt ging, wie es eigentlich sollte, nahm sie mir die Zeitung aus der Hand, holte eine Schere, schnitt die Zahlenrätsel heraus und weil sie schon dabei war, begradigte sie auch gleich die ausgefransten Ränder, die bei meinem Reißversuch entstanden waren.

Bei dieser Gelegenheit entdeckte sie das große Wochen­endrätsel, das sich über eine ganze Zeitungs­seite erstreckt und fast eintausend Kästchen hat. Nicht umsonst heißt es deshalb so, denn ein entspannt an die Sache Herangehender braucht dafür den Samstag und den Sonntag, es soll ja nicht in Arbeit ausarten.

Da ich noch anderweitig beschäftigt war, hatte ich mich aus der Küche verzogen und kaum hatte ich den Raum verlassen, stürzte sie sich – mit Bleistift und Radiergummi bewaffnet – auf die leeren Kästchen. Nach ihrer Auffassung sind Fragen dazu da, beantwortet zu werden und leere Kästchen muss man füllen und zwar möglichst schnell, denn solange es noch offene gibt – und mögen es auch nur zwei oder drei sein – ist die angefangene „Arbeit“ nicht erledigt und muss zu Ende gebracht werden, bevor ein neues Projekt – Sport treiben zum Beispiel – begonnen werden kann.

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In meiner Abwesenheit ist die Tochter zu Besuch gekommen und beteiligt sich eifrig am Frage- und Antwortspiel.

„Wilde Ackerpflanze, zweiter ist ein ‚I‘?“

„Girsch“, sage ich.

„Nee“, sagt die Tochter, „passt nicht. Sind nur fünf Buchstaben.“

„Girsch ist auch keine Ackerpflanze“, wirft die Haus­frau ein, deren profunde Kenntnis der heimischen Gartenflora legendär ist.

„Männliche Biene?“

„Willi!“

„Wieso Willi?“. Die Klügste ist verwirrt.

„Biene Maja“, lache ich, „deren Freund heißt ‚Willi‘. Nee, mal im Ernst, das ist eine ‚Drohne‘.“

„Eine Drohne? Mit der man Aufnahmen von oben machen kann?“, fragt die Tochter allen Ernstes, „Und danach sind die benannt worden?“

Das kann sie nicht ernst gemeint haben! Die Kluge und ich lachen.

„Also nicht.“, sagt sie und erkennt, dass das Wort im letzten Jahrhundert, als die Eltern noch jung waren, eine andere Bedeutung gehabt haben musste, „Wohl andersrum.“

 

 „Ein Eichhörnchen!“, lenkt die Tochter sehr geschickt ab.

„Mit drei Buchstaben?“, frage ich.

„Ach Papa! Draußen. In echt.“

„Wo?“, fragt die Mutter.

„Hier vor der großen Scheibe!“

„Diese Tiere werden auch immer frecher!“

Die im Grunde ihres Herzens tierliebe Hausfrau steht auf, um nach dem Eichkätzchen zu sehen und doch sie ist jetzt äußerst aufgebracht, klauen diese Tiere doch ihren Vögeln immer wieder die Körner, klettern die Hauswand hoch und bilden gewaltige Populationen unter dem rings umlaufenden Dachüberstand.

 

„Sultanat in Malaysia?“

„Sepang.“, rutscht es mir heraus, und ich ärgere mich, denn ich will in Ruhe gelassen werden. Sollen sie doch selber nachdenken oder nachschauen, wofür haben sie denn ihre elektronischen Alleswisser.

„Woher weißt du das denn?“

„Das ist nur Kreuzworträtselwissen, mit dem Begriff verbinde ich sonst nichts. Das hat nichts mit Bildung zu tun. Wenn ich jetzt noch die welt- und geopolitische Bedeutung dieses Sultanats einordnen könnte und die gegenwärtigen Absichten der dortigen Regierung...“

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„Ist ja gut, Papa“, fällt mir die Tochter ins Wort, „ist ja gut, wir haben schon ver­stan­den.“

„Fossiler Brennstoff?“, fragt die Kluge.

„Holz“, sage ich.

„Zu kurz.“

 „Erdöl.“

„Zu kurz. Zehn Buchstaben.“

„Vielleicht Steinkohle...“

„Dann beginnt ein feiner Baumwollstoff aber mit ‚S‘.“

„Satin“, wirft die Tochter ein.

„Satin ist ein Seidenstoff, keine Baumwolle“, sagt die Kluge, „und außerdem zu kurz.“

„Wisst ihr woher der Name ‚Satin‘ stammt?“ Ich werde sie nerven, damit sie mich in Ruhe lassen. „Der Name kommt eigentlich aus dem arabischen und bezeichnet die chinesische Stadt ‚Zatuin‘, wo der Stoff hergestellt wurde. Später haben ihn die Franzosen über­nommen.“

„Papa!“

„Wölfchen! Ist ja gut!“

„Wenn ‚Satin‘ nicht passt, dann fängt das Stöffchen mit ‚B‘ an, denn der Brennstoff kann nur noch ‚Braunkohle‘ sein.

„Batist!“, ruft die Hausfrau, „das hätte ich aber wissen können.“

 

Am Tisch herrscht jetzt Ruhe. Die beiden stecken die Köpfe zusammen und die eine schreibt eifrig.

Ich trinke meinen Kaffee und beobachte das Eichhörnchen im Garten, das von einem Baum zum anderen hüpft, sitzen bleibt, schaut und letztlich in Nachbars Garten an einem Tannenzapfen herum kaut.

 

„Soweit ist alles fertig“, sagt die Kluge, „nur ein paar Sachen fehlen noch.“

„Mal doch einfach Fragezeichen in die Kästchen, dann sieht‘s wenigstens gefüllt aus.“

„Dafür sind’s zu viele.“ Sie macht eine Pause. „Kennst du einen ‚Berater Karls des Großen‘ mit sechs Buchstaben?“

„Nicht persönlich“, lache ich, „aber wenn ‚Alkuin‘ in dein Gitter passt, nimm den.“

„Passt. Und ‚norddeutsch für Haff‘?“

„Noor.“

„Was ist überhaupt ein Haff, Papa?“

 „Das gibt es nur an der Ostsee. Eine mehr oder weniger flache Bucht, die zum Meer nur einen kleinen Zugang hat und so fast zu einem Strandsee wird.“

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„Und woher weißt du das mit dem ‚Noor‘?“, fragt die Frau, bei der man jede Antwort genauestens belegen muss.

„Das habe ich in Vorbereitung unseres Juist-Urlaubs in einem Buch über norddeutsche Landschaften und ihre Entstehung gelesen.“

„Aha“, sagt sie und schaut mich ungläubig an, weiß nicht, ob ich sie auf den Arm nehmen will, „dann weißt du sicher auch ‚friesisch für Insel‘. Drei Buchstaben, hinten ‚GE‘.“

„Nee, das weiß ich nicht, aber ich kann’s mir denken: drei ostfriesische Inseln enden doch auf ‚oog‘ oder ‚oge‘, also wird das wohl ‚OGE‘ sein.“

„Das leuchtet ein.“

„Hast du das ‚Insekten­be­kämpfungsmittel‘ schon gefunden?“

„Nein.“

„Wie wär‘s mit ‚Insektizid‘.“

„Ja! Dass ich da nicht selber drauf gekommen bin!“

„Diese ganze Fragerei hat mich doch sehr angestrengt, ich werde mich kurz hinlegen.“, sage ich und versuche, dabei erschöpft zu klingen, denn irgendeine Ausrede muss ich ja finden, um mich elegant zurückzuziehen.

 

Als ich nach einer halben Stunde zurückkehre, hat die Klügste die fehlende ‚Gewebeart‘ auch noch gefunden und hält mir jetzt einen längeren Vortrag über ‚Etamin‘, seine Herstellung, Verwendung und den Unterschied zu ‚Stramin‘, ganz zu schweigen von den umfangreichen astrophysikalischen Daten zum hellsten Stern gleichen Namens im Sternbild „Drache“.

 

Ich frage nicht, woher sie das weiß, ich bin einfach nur zutiefst beeindruckt und das ‚Große Wochenendrätsel‘ wurde in nicht einmal neunzig Minuten gelöst.