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Veränderung oder: Warten ist überflüssig

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Wie jeder Ratgeber für die über Siebzigjährigen ausdrücklich fordert, dürfen Männer, die, mit oder ohne größeres Zutun ihrerseits, siebenmal zehn Jahre auf diesem Planeten ausgehalten haben, nach Ablauf dieser „Prä-Paradiesischen-Reinigung“ – oder einfach: „Wartezeit“ – alles.

Alles, was bisher – aus welchen Gründen auch immer – verboten oder wenigstens nicht erwünscht, also mit seelischen Qualen verbunden war, ist nun auf einmal, im Rahmen der geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze natürlich, erlaubt oder wird wenigstens stillschweigend geduldet.

Und das Beste: Mit einem einfachen Hinweis auf die gedruckte Ratgeber-Generalerlaubnis könnte die bessere Hälfte zum Schweigen, könnte Nörgeln und Vorab-Miesmachen folgenlos und völlig diskussionsfrei verstummen. Aber das gelingt natürlich nicht, denn sie weiß wie immer Bescheid und zudem alles besser. Darum heißt sie ja auch nicht einfach „die andere Hälfte“ sondern „die bessere“. Und sie hat nicht nur einfach gute Argumente sondern bessere als die nicht so gute Hälfte, wenn die denn überhaupt welche hat.

 

Wenn bei zwei gleichzeitig betrachteten Teilen einer Gesamtheit der eine als der bessere eingestuft wird, wird der andere zwangsläufig der weniger gute sein. Das liegt in der Natur des Vergleichs. Liegt der Bewertung ein ungeeignetes Merkmal zugrunde, wie zum Beispiel Farbe, Gewicht oder Aussehen, ist die Zuweisung der Eigenschaften „gut“ oder „schlecht“ demnach sinnlos, ja schlichtweg falsch. Bei Menschen das Unterscheidungsmerkmal „Geschlecht“ heranzuziehen, führt somit zu völlig absurden Aussagen über die Qualität, da zur Erlangung der Eigenschaften „männlich“ oder „weiblich“ keinerlei eigenständige Leistung erforderlich ist.

Irgendwann im Leben einer verheirateten Frau wird ihr bekanntermaßen gerne der Titel „bessere Hälfte“ zugesprochen, als wäre die Verbindung von Mann und Frau wie aus dem Nichts ein Yin und Yang: „gut und nicht gut“ oder „besser und schlechter“. Nun liegt es in der Eigenart des Menschen, dass er gar nicht gerne abgibt, was ihm einmal als Gutes gegeben wurde und das ihm ein bequemes Leben beschert. Die als „die Bessere“ titulierte wird alles daran setzen, dieses erwiesenermaßen unzulässige Merkmal zu behalten, bringt es ihr doch so einige Vorteile. Jemand kompetentes müsste ihr also sagen, dass ab sofort die andere Hälfte, also der Mann, als gleichwertig zu betrachten ist. Die minderbewertete Hälfte darf damit alles, was die andere bisher schon durfte: niemals rechtfertigen, nachfragen, erklären oder bitten: sie durfte eben alles, vor allem aber die „minderbemittelte“ Hälfte nach ihrem Wunschbild erziehen und für alles verantwortlich machen. Nun aber sollen beide die gleichen Rechte haben — also keine Vorrechte mehr.

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Ausdrücklich ist es dem bislang „Rechtlosen“ erlaubt, nicht auf die ehemals bessere Hälfte zu hören. Damit das aber reibungslos gelingt, sollte ihr ein Mensch von außerhalb ihres Zweiersystems mindestens einen der tollen Altmenschen-Ratgeber ans Herz legen, damit sie es schwarz auf weiß hat, denn sie hat ja verlernt, auf die Argumente der anderen Hälfte zu hören. Nahezu perfekt wäre es, wenn der von einer Frau aus ihrer (oder einen anderen) Post-Menopause-Gruppe verfasst worden wäre, von einer, die weiß um was es geht.

Alle Beweisstränge in diesem Leitfaden müssten – auch dialektisch betrachtet – zu der einen Aussage führen: „Höre Frau! Lass ihn los, jeder von euch hat ein Recht auf seine eigene Freiheit des Seins, auch wenn er noch immer in deiner Umlaufbahn herumschwirren wird! Jegliche Veränderung dieses Trabanten ist fürderhin unmöglich und daher müßig, also lass es! Sofort! Es genügt, wenn er Kraft deiner Anziehung bei dir bleibt!“ Und wenn der Beweis ordentlich, schlüssig, ohne dreimal dasselbe zu sagen und ohne „Aber-Schlupfloch“ geführt wurde, hätte sich die Angelegenheit (wegen der klugen Einsicht der Frau) für beide Hälften erledigt.

Auch unter das immer wieder gern verwendete „Woher weißt du das?“, wäre ein für alle Male ein Schlussstrich gezogen: Die Herkunft seines Wissens und ein sich daraus ergebender Wunsch böten keinerlei Anlass mehr zu einer immer wieder ermüdenden und vor allem müßigen Diskussion um das „Woher“. Denn diese Frage kann, konnte und wird er nur selten beantworten. Sein Gedankenspeicher arbeitet nun mal grundsätzlich anders: eingeschränkt selektiv und als unwesentlich erkannte und daher als überflüssig eingestufte Informationen werden konsequent verworfen. Damit stehen seine zwangsläufig mühsam rekonstruierten Erinnerungen grundsätzlich wegen schwacher Beweislage als Schutz- oder Ich-will-aber-behauptungen im Raum und können mühelos als unzutreffend oder gar als nachweislich falsch, zurückgewiesen werden. Wahrheit und Wissen der (Ehe-) Frau sind mit denen des (Ehe-) Mannes nur gelegentlich deckungsgleich. Nach Lektüre des Ratgebers aber wird sie die „Zwei-Ebenen-Theorie der Wahrheit in der Welt“ anerkennen und es wird auch von ihrer Seite nur noch heißen: „Das ist schön. Ja, mach mal. Ich freu mich für dich.“ Und viel wichtiger: „Egal woher du das hast, es wird schon richtig sein.“

Das bedeutet weniger bis gar keinen Stress mehr für beide, und er hat ihr etwas zu erzählen oder etwas zu zeigen und sie hat das große Glück, sich mitfreuen oder ärgern zu können. Sie sind ab sofort zwei Teile einer gewachsenen, sinnvollen Ordnung, in der keiner dem anderen überlegen sein will, also gleichbedeutend. Nicht besser oder weniger gut, einfach unbewertet.

 

Bleibt nur zu klären, warum um alles in der Welt wir bis ins höhere Alter darauf warten müssen …